Hitlerjunge Salomon


 

 

9.11.05   Sally Perel erneut an unserer Schule

 

Der Stellvertretender Direktor der Osnabrücker Volkshochschule Dr. Carl-Heinrich Bösling sprach die Einführungsworte.
 

Es war eine Geschichtsstunde der besonderen Art, die Sally Perel den Schülerinnen und Schülern des neunten und zehnten Jahrganges in der evangelischen Kirche von Bad Laer abhielt. Sally Perel, als jüdischer Junge in der Uniform der Hitlerjugend dem Holocaust entgangen, ließ sie teilhaben an seiner ebenso leidvollen wie außergewöhnlichen Lebensgeschichte.

Perel war bereits vor über zwei Jahren an unserer Schule gewesen und hatte die Schüler/innen in seinen Bann gezogen. Geboren wurde der 80 jährige 1925 in Peine. Seit 1948 lebt er in Israel.

,,Wir sind die letzten Zeitzeugen, während die Gruppe der Leugner des Holocaust immer größer wird", unterstrich Perel in der Dreifaltigkeitskirche sein Hauptanliegen: der jungen Generation durch den Bericht eines Überlebenden das Unfassbare begreiflich zu machen, sie dadurch auch zu stärken vor ideologischer Beeinflussung. Dass in Deutschland wieder junge Menschen mit Springerstiefeln und Baseballschlägern durch die Straßen zögen, mache ihn tief betroffen.

Betroffen waren auch die Schülerinnen und Schüler, die die Geschichte des ,,Hitlerjungen Salomon" verfolgten. Unsere Schüler/innen hatten sich gut vorbereitet: viele von ihnen hatten das gleichnamige Buch von Perel gelesen oder die Verfilmung gesehen.

Sally Perel überlebte im Gegensatz zu seiner Familie, die der Vernichtungsmaschinerie der Nazis zum Opfer fiel, ,,weil ich unter die Haut des Feindes schlüpfen konnte". Eindrucksvoll und bewegend beschrieb der 77-Jährige, wie er nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten zunächst mit seiner Familie nach Polen floh. Nach dem Einmarsch der deutschen Truppen beschlossen seine Eltern, dass er sich mit einem Bruder über die Grenze nach Russland durchschlagen sollte.

Doch auch dort holte ihn bald der Krieg ein. Die deutsche Wehrmacht ließ in einem Dorf bei Minsk, wo sich der junge Salomon aufhielt, die Bürger in langen Reihen antreten, um die Juden unter ihnen sofort zu erschießen. ,,Du sollst leben", hatte seine Mutter zu ihm beim Abschied gesagt. Der Junge erinnerte sich daran, als der Soldat vor ihm stand: ,,Ich bin ein Volksdeutscher", log Salomon und rettete damit sein Leben.

Aus Salomon wurde Joseph, oder kurz Jupp Perel, der im Laufe des Krieges sogar eine Schule der Hitlerjugend in Braunschweig besuchte, eine Elite-Anstalt, in der die Nationalsozialisten ihren Führungsnachwuchs herausbildeten. Eindrucksvoll beschrieb Sally Perel, wie er sich von sich selbst lösen musste: seine jüdischen Wurzeln musste er kappen, statt dessen ,,Sieg Heil" rufen und den rechten Arm zum Hitlergruß heben. Immer in Angst, entdeckt zu werden, lebte Salomon/Joseph bis zum Kriegsende in zwei Welten.

Aber es geschah auch noch etwas anders. 40 Jahre lang habe er sich nicht getraut, seine ,,eigene kleine Tragödie" auszusprechen, sagte Sally Perel: ,,Ich wurde ein echter junger Nazi". Auch als jüdischer Junge habe er nicht der totalen Beeinflussung widerstehen können. ,,Dieser tragische Konflikt, Jude und Nazi in einer Person gewesen zu sein, begleitet mich bis heute", beschrieb Perel seine Gefühle.

Die Darstellung des eigenen Erlebens einer staatlich angeordneten Gehirnwäsche, die aus eigenständigen Individuen willfährige Massen machte, war für ihn ein zentraler Punkt im Vortrag, um seine Botschaft an die Schülerinnen und Schüler rüberzubringen. Ihre persönliche Stärke könne auch auf Wissen beruhen, das er als Zeitzeuge vermittele. ,,Eine psychisch schwache Jugend, deren Ego nicht stark ausgeprägt ist, ist empfänglich für Parolen", warnte der 77-Jährige vor den Folgen einer solchen Labilität.

Perel verstand seine Ausführungen deshalb als Auftrag an die jungen Leute: ,,Ihr habt den Bericht noch gehört, während wir Zeitzeugen bald nicht mehr da sind und in Deutschland wieder marschiert wird". Auch unsere Schülerinnen und Schüler forderte er auf, Fakten weiterzugeben und aus der Geschichte zu lernen, und zitierte den Schriftsteller Bertolt Brecht: ,,Wer die Wahrheit nicht weiß, ist ein Dummkopf, wer sie weiß und eine Lüge nennt, ist ein Verbrecher".